Eine lobende Erwähnung geht an den jungen Regisseur Marc Wortel von der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin für den mutigen Versuch, mit der Inszenierung «Hundeherz» nach Bulgakow die Meyerholdsche Bühnensprache wiederzubeleben. 

Jury der Bensheimer Theaterpreis 2009

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Tagesspiegel vom 17. März 2009

Stalin bellt

Die Satire „Hundeherz“ im Studiotheater Bat Christoph funkeD
17.3.2009 0:00 Uhr

Es war am 7. Mai 1928, als die sowjetische Geheimpolizei GPU während einer Hausdurchsuchung bei Michail Bulgakow (1891–1940) zwei Manuskripte der Erzählung „Hundeherz“ beschlagnahmte. Bulgakow bekam sie zwar später zurück, aber das „scharfe Pamphlet“, so der Vorwurf der KPdSU, konnte erst 1987 in der Sowjetunion gedruckt werden, mehr als 60 Jahre nach seiner Fertigstellung 1925.

Den Hintersinn von Bulgakows Erzählung aus dem Zyklus der „Teufeliaden“ hatten die Zensoren wohl begriffen. Ein genialer Operateur versucht die Menschwerdung zu beschleunigen, indem er einem Hund Teile des Gehirns eines gerade verstorbenen Tunichtguts einpflanzt. Tatsächlich wird der Hund zum Menschen, übernimmt und steigert aber die Bösartigkeit seines Spenders und wird vom zutiefst erschrockenen Wissenschaftler wieder in einen Hund zurückverwandelt. Eine fesselnde Utopie und eine Politsatire auf höchstem Niveau. Denn die Figuren der Erzählung vertreten in genialer Weise die Heroen der Sowjetunion: Lenin (der Operateur), Trotzki (sein Assistent), Stalin (der Hund Bello).

Im Studiotheater Bat haben jetzt Marc Wortel, Thomas Wieck und David Schliesing Bulgakows Erzählung in einer mit der Vorlage souverän umgehenden Fassung auf die Bühne gebracht, mit Texten von Wladimir Majakowski und Karl Otten. Sie verschränken die politische Geschichte mit Ausdrucksformen des Theaters der 1920er Jahre und deuten die wissenschaftliche Niederlage des Professors folgerichtig um: Der Hund wird nicht wieder zum Hund, er übernimmt die Macht.

Die Aufführung unter der Regie von Marc Wortel atmet den Geist einer aufgewühlt revolutionären Zeit, ist von zumeist schwermütiger Musik (Daniel Schellongowski) eingehüllt und zauberhaft beweglich, lebendig, angriffslustig. Was Bulgakow ahnte, ist zum Ziel gebracht, mit jungen Schauspielern, die mit bestechender Sicherheit Ironie und Leidenschaft auspendeln, auf dem schmalen Brettersteg oder dem „Tanzboden“ der dunklen, nackten Bühne (Felicia Grau). Ein beflügelnder, quicklebendiger, dämonisch irrlichternder Theaterabend.

Christoph Funke

 

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Mai 2009

Geburtstagsgeschenke

Rühles letzte Bensheimer "Woche junger Schauspieler"

 

Es ist ein Stück so ganz nach Günther Rühles Geschmack: Ein klug bearbeiteter historischer Stoff, der dem Publikum eine Epoche nahebringt, die bis heute ausstrahlt. Ein Regisseur und ein Schauspielerteam, die sich der Wahl ihrer Mittel bis ins kleinste Detail bewusst sind, ein intensives Spiel ohne Effekthascherei. Die Bensheimer "Woche junger Schauspieler" hatte die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch aus Berlin zu Gast, die schon mehrmals den Publikumspreis gewonnen hat.

Im dritten Ausbildungsjahr stehen sowohl der Regisseur Marc Wortel als auch seine sieben Darsteller, die Rühle geradezu hinrissen: Es sei eines der besten Stücke gewesen, die bei dem Bensheimer Festival je gezeigt worden seien, befand der Ehrenpräsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und Gründer der "Woche junger Schauspieler". Wortel, der seine erste selbständige Inszenierung am Studiotheater der Busch-Schule erarbeitete, hat nicht nur zusammen mit seinem Kommilitonen und Dramaturgen David Schliesing und mit Unterstützung seines Professors Thomas Wieck aus Michail Bulgakows Roman "Hundeherz" eine Bühnenfassung geschrieben. Mit Texten von Wladimir Majakowski, Auszügen aus Schauprozessen der Stalin-Ära und vor allem einer eigens komponierten Bühnenmusik von Daniel Schellongowski, live gespielt von Bass, Akkordeon und Violine, ist ihm eine weit über die Zeit der Russischen Revolution hinausweisende Parabel gelungen.

Wortels Szenenfolge erzählt die Geschichte des zum Menschen umoperierten Hundes Bello - zeitgenössisch und doch im Bewusstsein der Theatertraditionen, vor allem der russischen Moderne, mit gegensätzlichen Protagonisten wie Majakowski, Stanislawski und Meyerhold, dessen biomechanischer Spielweise Wortel und seine Schauspieler sich in einem intensiven Training gewidmet haben. Die Mühen und die Früchte dieser historischen Auseinandersetzung in Theorie und Praxis teilten die jungen Akteure im anschließenden Publikumsgespräch mit Günther Rühle mit. Diese Gespräche gehören zu den Herzstücken der "Woche junger Schauspieler". Nicht von ungefähr fordert Rühle dabei energisch das Urteil und die Fragen des Publikums ebenso ein wie präzise Formulierungen der jungen Teams: Seit Rühle, einst Feuilletonchef dieser Zeitung, von 1992 bis 2000 Präsident der Akademie, 1996 die "Woche" gegründet hat, reiste er nicht nur kreuz und quer durch die Republik, um junge Theatermacher zu finden, die seinem hohen Qualitätsanspruch genügen - der Doyen nimmt auch kein Blatt vor den Mund. In diesem Jahr musste sich die Theaterwelt die Rüge gefallen lassen, außer vier Inszenierungen nichts Passendes geboten zu haben.

[...]  Am 3. Juni wird Rühle 85 Jahre alt - und will sich künftig auf sein Buchprojekt konzentrieren. Des Reisens mag er müde sein, des Theaters und der jungen Talente, das zeigen seine Fragerunden, keineswegs. Am 2. Juni endet seine letzte "Woche junger Schauspieler" - quasi ein Geburtstagsgeschenk.

EVA-MARIA MAGEL 


 

 

 Bergsträßer Anzeiger 29. Mai 2009

Woche junger Schauspieler: Gespenstische Inszenierung der Erzählung "Hundeherz" von Studenten der Berliner Ernst-Busch-Hochschule

 

Ein Herz für Tiere: Stalin bellt zurück

 

Thomas Tritsch, Bensheim.

 

Mit einer überaus einprägsamen Aufführung haben Studenten der Berliner Hochschule Ernst Busch erneut eine frische Brise Theaterwind in die Woche junger Schauspieler geblasen.In diesem Jahr hat sich das Werkstatt-Ensemble vom kleinen BAT-Studiotheater die groteske Erzählung "Hundeherz" des russischen Autors Michail Bulgakow vorgeknöpft: eine gespenstische, sensible und sehr leidenschaftliche Inszenierung des niederländischen Regisseurs Marc Wortel, die am Mittwoch im halb gefüllten Parktheater über die Bühne gegangen ist.

Die jungen Leute, die sich alle im dritten und vierten Studienjahr bewegen, offenbaren Spielfreude und Mut zur darstellerischen Retrospektive. Für die Umsetzung auf die Bühne hat sich die Gruppe an den Ausdrucksformen des Theaters der 20er Jahre orientiert und sich so auf überzeugende Weise Bulgakows Zeit angenähert.Die Schauspielmethode Biomechanik, die damals vom russischen Regisseur Meyerhold weiter entwickelt wurde, geht davon aus, dass Emotionen durch die körperliche Haltung der Schauspieler ausgelöst und verstärkt werden können.

Die physische Präsenz des Berliner Ensembles gibt der Inszenierung einen anti-realistischen und materialistischen Bildklang, der perfekt auf die literarische Vorlage passt. Die plastische und beinahe tänzerische Ästhetik steht in einem spannenden Gegensatz zur latent bedrückenden Stimmung des Stücks.

Die physische Präsenz des Berliner Ensembles gibt der Inszenierung einen anti-realistischen und materialistischen Bildklang, der perfekt auf die literarische Vorlage passt. Die plastische und beinahe tänzerische Ästhetik steht in einem spannenden Gegensatz zur latent bedrückenden Stimmung des Stücks.Die Geschichte spielt in Moskau Mitte der 20er Jahre. Lenin hat gerade das Zeitliche gesegnet, als ein ideologisch verseuchter Operateur versucht die menschliche Art zu verbessern, indem er einem streunenden Hund Teile eines ermordeten Homo sapiens einbaut.

 

Katastrophales Experiment

 

Das Experiment rennt in die Katastrophe, als der Hund immer mehr menschliche Züge undBösartigkeiten annimmt. Er säuft nicht nur Wodka und stellt Frauen hinterher - der haarlose Bello(w) bellt auch laut gegen seinen Schöpfer. Der "neue Mensch" ist ein manipulierter Proletarier übelster Sorte, der sich seiner Triebhaftigkeit hingibt und mit aller Macht nach oben will.

Die anmaßenden Mediziner werden von ihrer moralischen Maßlosigkeit besiegt. Genosse Stalin kläfft zurück. Die Story zeigt: Ein neuer Mensch lässt sich nicht mit Gewalt und schon gar nicht mit einem alle sozialen und natürlichen Bedingungen missachtenden wissenschaftlichen Handstreich schaffen.

 

In Moskau musste diese scharfe Satire auf die Erschaffung des "Sowjetmenschen" bis 1987 auf ihre Veröffentlichung warten - über 60 Jahre nach ihrer Fertigstellung 1925. Die Ironie, mir der Bungalow die damaligen Zustände karikiert hat, wird auch auf der Bühne ausgereizt. Marc Wortel und sein Dramaturg David Schliesing haben aus der Revolutionsgroteske eine souveräne Inszenierung gebaut, die mit Texten des Dichters Wladimir Majakowski durchsetzt ist und den Geist der 20er Jahre atmet.

 

Das Bühnenbild (Felicia Grau) besteht aus einem diagonalen "Laufsteg", hinter dem ein Trio traurige Tangomusik spielt. Darauf spielt sich die sozialistische Hausgemeinschaft des Professors und seines verblendeten Gehilfen ab: Zwei besser gestellte Herren in einer Siebenzimmer-Wohnung, die ihre ideologische Verkommenheit konsequent zu Ende denken.

Das siebenköpfige Ensemble spielt durchweg souverän und kraftstrotzend bis ins Finale. Eine Pause hätte dem Stück mit seiner flirrenden Lebendigkeit kaum gut getan. Dem Studiotheater gelingt es erstaunlich leichtfüßig, Bulgakows Novelle für die Bühne zu adaptieren.

 

Die Verwandlung des Hundes in einen Menschen wird vom Assistenten "live" kommentiert, während die Revolutionswächter fanatisch Armut und Elend der kleinen Leute besingen. Respektvoller Applaus in Bensheim für das mittlerweile zehnte Gastspiel der Ernst-Busch-Hochschule im Rahmen der Woche junger Schauspieler.

 

 

 

 

Echo Online 29. Mai 2009

Bello wird’s richten

Woche junger Schauspieler: Studenten spielen ein Stück nach Bulgakows „Hundeherz“BENSHEIM. Von Bettina Bergstedt

Wenn da nicht die Bühne an Stelle einer Leinwand wäre, glaubte man einen Stummfilm aus den zwanziger Jahren zu sehen. Geige, Akkordeon und Kontrabass schaffen russische Melancholie, auf die Bühnenrückwand wird in großen Lettern „Lenin ist tot“ projiziert. Wir befinden uns im Jahr 1924 als Lenin starb und in einem von Stalin groß inszenierten Begräbnis in Moskau beigesetzt wurde.

Bei der Bensheimer „Woche junger Schauspieler“ schufen Studenten der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (Berlin) am Mittwochabend politisches Theater einer fast vergessenen Art: Der Stoff der satirischen Novelle „Hundeherz“ von Michail Bulgakow von 1925 wurde historisch gut recherchiert, inhaltlich weiterentwickelt und körperlich kraftvoll dargestellt.

Der Aufbau des Stückes erfolgt wie im Stummfilm in kurzen Szenen, die durch Einblendung eines Titels den Zuschauer leiten. Die längste Szene ist überschrieben mit „The dog’s opera“ und gibt im Wesentlichen die Geschichte wieder, die Bulgakow geschrieben hat. Ein frierender, vor allem hungriger Hund namens Bello wird mit einem Stück Wurst in die Wohnung von Professor Preobrashenski gelockt, der aus ihm einen Menschen macht. Der Zuschauer erlebt nun den Prozess der Menschwerdung eines Straßenköters mit Hilfe einer Diaschau, die vom Assistenten des Professors kommentiert wird.

Genau hier beginnt das Dilemma. Was ein neurologisches Experiment „zur Verbesserung der menschlichen Art“ werden sollte, gerät aus den Fugen. Denn Bello behält sein Hundeherz und pöbelt den pikierten Professor und seinen Assistenten an. Am Ende des Stückes katapultiert sich der Hund an die Spitze der Macht, und dem Professor wird als rrevisionistische Element der Prozess gemacht. Hier verlässt der junge Regisseur Marc Wortel die Vorlage Bulgakows, in der Bello wieder zurückverwandelt wird zum Hund.

Damit ermöglicht der Regisseur, Bulgakows damals brisante Sozialkritik am Idealproletarier in einen größeren historischen Zusammenhang zu stellen. Er zeigt nämlich das Machtgerangel zwischen den reformwilligen Menschewiki, verkörpert durch den bourgeoisen Professor und seinen Assistenten, und den revolutionären Bolschewiki, die in Lenins Gefolgschaft die Diktatur des Proletariats durchsetzten. Dabei benutzt Wortel auch andere Texte, Prozessakten und Protokolle aus der Stalinzeit.

Das Proletariat bilden drei Frauen und ein „treuer Genosse“. Die Frauen treten fast immer als Chor auf und schmettern mit kraftvollen Stimmen: „Vorwärts, mein Land!“ Diese Stellen sind nicht nur tänzerisch inszeniert, sondern entwickeln eine besondere Dynamik aus der Biomechanik, jener vom russischen Regisseur Meyerhold entwickelten Schauspieltechnik, die davon ausgeht, dass Bewegungen Emotionen bewirken. Das körperbetonte Spiel korrespondiert mit dem eher kargen Bühnenbild und den Kostümen. Die Frauen sind in einfache Kleider aus Sackleinen gewandet, die Bourgeoisie trägt weißes Hemd mit Weste.

Dadurch entsteht auf unspektakuläre kunstvolle Weise ein Stück Geschichte, das ebenfalls auf die Gegenwart bezogen werden kann: Wieweit macht Genforschung Sinn, wie sehen unsere Träume von der Zukunft aus, wie ein sinnvolles wirtschaftliches Konzept? Was überhaupt können wir aus der Geschichte lernen?

 

 

 

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